Donnerstag, 11. Oktober 2007

Baucamp in Kiel

Seit knapp zwei Wochen unterstützen Freiwillige des Bauordens die Maro Temm Wohnungsgenossenschaft in Kiel. In 13 Reihenhäusern werden Kieler Sinti- Familien ein neues Zuhause finden. Die Rohbauarbeiten sind bereits abgeschlossen, nun folgen mit Hilfe der freiwilligen Helfer des Bauordens verschiedene Innenausbauarbeiten.
Die Freiwilligen arbeiten zusammen mit den zukünftigen Bewohnern, zum Mittagessen trifft man sich gemeinsam mit mehreren Sinti-Familien.

Das Projekt soll es den beteiligten Kieler Sinti-Familien ermöglichen, gemeinsam zu wohnen, zu arbeiten und ihre kulturelle Identität zu wahren. Die deutschen Sinti und Roma sind als nationale Minderheit in Deutschland beheimatet. In Schleswig-Holstein leben etwa 5000 Sinti und Roma, in der Landeshauptstadt Kiel sind es etwa 900.


Antje (aus Deutschland) und Ildar (aus Russland)


Peter (Bulgarien), Antje (Deutschland), Albertas (Litauen), Plamen (Bulgarien), Ildar (Russland) und Andrea (Deutschland)


Am Tag der Deutschen Einheit stand ein Ausflug nach Flensburg und ins benachbarte Dänemark auf dem Programm, den die Maro Temm Wohnungsgenossenschaft als Zeichen der Anerkennung für die Bauordensfreiwilligen organisiert hat.




Ein Zeitungsbericht zu den Hintergründen des Projekts:

Kieler Nachrichten vom 24.05.2007

Gestern wurde der Grundstein für das Sinti-Wohnprojekt gelegt

Kiel – Seitlich der Friesenbrücke wird der Atem der Stadt ruhiger: Busbetriebshof, Hallen, einige Häuschen. Am Ende der Diedrichstraße beginnt Maro Temm. Nach vier Jahren Vorarbeit wurde gestern der Grundstein für das Sinti-Wohnprojekt gelegt. Ein Fest ist ein Fest: "Kommt mittenrein", weist Matthäus Weiss, Chef des Landesverbandes der Sinti und Roma, die drei am Rande spielenden Gitarristen an, "nicht so abseits!" Gaardens Ortsbeiratsvorsitzender Bruno Levzow unkt mit Blick auf frühere Proteste gegen das Projekt: "Dafür, dass so viele dagegen waren, sind ja viele hier".

Der Bauplatz für 13 kleine Reihenhäuser in Verlängerung der Diedrichstraße ist fertig. Der Romanes-Ausdruck Maro Temm ("Unser Land") ist Programm, im Fokus zahlreich gezückter (Handy-)Kameras erklärt die Sprecherin des Genossenschaftsvorstands, Renate Schnack: "Hier soll ein schützender Ort und doch offener Ort entstehen, von dem aus insbesondere Kinder hingeführt werden sollen zu Bildung und Ausbildung, zu Arbeit und Teilhabe."

Das Prinzip der "kleinen Nachbarschaften" soll den Weg und damit die Integration für Sinti in die Gesellschaft erleichtern. An dem Ort, an dem mit dem Einzug ab Weihnachten 2007 vertrautes Romanes gesprochen wird, an dem Nachbarschaftsstress mit Nicht-Sinti mangels Masse ausbleibt, können die Kinder eigener Tradition gemäß von Sintinachbarn und -freunden mitbetreut werden, wenn beide Eltern erwerbstätig sind. Das bietet den Rahmen, außerhalb dessen sich die Bewohner in der Kultur der Mehrheitsgesellschaft zurechtfinden können. Weiss kündigt ein gemeinsames Fest mit der benachbarten Freiwilligen Feuerwehr an: "Wir wollen uns nicht verstecken und isolieren" – kein Ghetto also.

Das Areal zwischen den Bahndämmen war anfangs nicht gerade das Traumgrundstück für die Projektziele, weil es nicht eingebettet in die Stadt ist, sondern wie an ihrer Peripherie liegt, aber: Es war das einzige Grundstück, dass die Stadt der Genossenschaft Maro Temm auf Erbpachtbasis (75 Jahre) bot. Innenminister Ralf Stegner ("Kulturelle Vielfalt ist das Gegenteil von Einfalt") freute sich bei der Grundsteinlegung "über die Bereicherung für Kiel". Gerade habe die Investitionsbank ein 1,5-Millionen-Euro-Darlehen zugesagt, das an die Genossenschaft als Wohnungsbauförderungsdarlehen geht – zu gängigen Bedingungen übrigens, 100.000 Euro kommen als Kommunaldarlehen von der Stadt Kiel, die gleiche Summe wollen die Bewohner in Eigenleistung erbringen.

Das Projekt hat von Anfang aneuropaweite Beachtung gefunden. Stegner machte keinen Hehl daraus, dass er sich angesichts dieser Bedeutung von Kiels OB Angelika Volquartz mehr Unterstützung für Maro Temm gewünscht hätte, mit Nachdruck sagte er zu Volquartz' Vertreter, Bürgermeister Peter Todeskino: "Ich werbe dafür, dass diese hohe Bedeutung auch in der Landeshauptstadt so empfunden wird" – Applaus war ihm von den etwa 50 Gästen und Genossen sicher.

Prompt wies Todeskino die Ministerschelte als "unangemessenes Nachtreten" zurück, trotz der "Friktionen in der Vergangenheit" sei die Stadt "sehr froh, dass sich das Projekt gerade in Kiel verortet". Unter den Gästen waren Vertreter aller Fraktionen – allein der Gaardener CDU-Ortsverband ("Integration sieht anders aus") kritisierte gestern die Standortwahl. Dagegen freuten sich Vertreter anderer Minderheiten im Land (Dänen, Nordschleswiger und Friesen) mit besonderer Wärme über "Unser Land" an der Diedrichstraße: Maro Temm.

Von Boris Geißler


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