Freitag, 20. August 2010

Internationales Baucamp: Arbeits-Urlaub

Internationales Baucamp in der alten Dreherei mit  Solveig Ufer und Tatiana Vorozheykina aus Sapansk in Russland.                      Foto: Roy Glisson

Internationales Baucamp in der alten Dreherei mit Solveig Ufer und Tatiana Vorozheykina aus Sapansk in Russland. Foto: Roy Glisson

„Junge Leute schuften für einen guten Zweck“ – ein Werbefachmann würde es wohl positiver formulieren. Dennoch trifft dieser Satz auf der Internetseite des „Internationalen Bauordens“ genau den Kern.

Aktuell schuften fünf deutsche und drei russische Jugendliche im Rahmen eines Internationalen Baucamps in der Jugendstilhalle, die das Haus der Vereine werden soll. Und sie schlafen auch dort.

Tritt man durch das Tor der Alten Dreherei, fällt der erste Blick auf die riesige Holzkonstruktion in der Mitte direkt unter dem hölzernen Dachständerwerk, das zwar teils verfault, aber einzigartig im Land ist. In mehreren Metern Höhe arbeiten dort Günter Scharren und seine zwei Helfer, Radik Kahliulin und Roman Kazakov. Mit dem Akkuschrauber hantieren die beiden Russen und nehmen den oberen Aufbau des Gerüsts wieder auseinander. „Wir wollen die Basiskonstruktion ein Stück nach hinten schieben“, erklärt Günter Scharren. Denn die vorderen Holzbalken wurden, wenn nötig, bereits ausgetauscht und gestrichen. Jetzt will man sich nach hinten durcharbeiten so gut es geht und die Zeit nutzen, so lange man tatkräftige Helfer hat. Auch wenn man sich mit Händen und Füßen verständigen muss, Scharren merkt: „Die Jungs wollen arbeiten.“

Wollen sie, aber vor allem möchten die beiden Russen Land und Leute kennen lernen. „Für uns ist es sehr schwer, aus unserem Land rauszukommen“, sagt der 20-jährige Roman. Freiwillige Arbeit sei eine Möglichkeit und da verbringt er, der eigentlich Ökonomie studiert, seinen Urlaub auch gerne mal mit Arbeiten. Dass „Schubkarre“ und „Sand“ zwei der wenigen deutschen Worte sind, die sie nun kennen, wundert da nicht. Dennoch sind beide begeistert: „Wir sind eineinhalb Monate in Deutschland unterwegs und alle zwei Wochen woanders. Da sieht man viel.“ Und der Job in Mülheim sei vergleichsweise halb so wild.

Sandra Ischner und Angela Hähne hingegen sind fürs weniger Grobe zuständig. Aktuell stehen sie im zukünftigen Badezimmer, das nur durch die gefliesten Wände als Sanitärraum erkennbar ist. Mit Kelle und Mörtel verputzen sie in die Wände geschlagene Löcher und bereiten sich so aufs Studium vor. Immobilientechnik will die Stuttgarterin Sandra ab Oktober studieren: „Und das Camp kann ich mir als Praktikum anrechnen lassen.“ Ebenso macht es Angela aus Hamburg, nur dass sie Bauingenieurin werden möchte. „Abwechslungsreich“ nennen sie ihre Aufgaben in der Alten Dreherei und deshalb „völlig in Ordnung“.

Acht Stunden am Tag sind die Jugendlichen unter Anleitung der Mülheimer im Einsatz – und fast durchgehend in der Jugendstilhalle: Übernachtet wird dort auf Feldbetten im Zelt, gegessen wird an einer Biertischgarnitur, die warme Verpflegung übernehmen die Frauen im Trägerverein. Natürlich, räumt die 19-jährige Sandra ein, gäbe es Schöneres, als im Zelt zu schlafen, aber wie alle anderen hat auch sie sich damit arrangiert: „Wir sind ja zum Arbeiten hier.“ Und am Wochenende organisiert die MST für sie eine Stadttour. Als Ausgleich zum Schuften für den guten Zweck.

Der Westen am 18.08.2010

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