Die Schweizer Bauordensfreiwilligen Ursina und Judith berichten von ihren Erfahrungen in der Ukraine :
Der Schweizer Bauorden organisierte in diesem Jahr gemeinsam mit dem Deutschen Bauorden ein Baulager im Westen der Ukraine. Viele Menschen sind dort sehr arm. Auf den Baustellen wurde mit einfachsten Mitteln gearbeitet. Vieles war anders, als es die Baugesellen zu Hause gewohnt sind. Aber mit den Grundeigenschaften eines Baugesellen, Improvisation und Phantasie, gelang es, mit den wenigen vorhandenen Mitteln viel zu bewirken.
Schon die Hinreise war abenteuerlich. Nach dem Flug nach Budapest fuhren die Baugesellen mit dem Nachtzug weiter nach Lviv (Lemberg). Die Wagen waren schön geschmückt mit Vorhängen, Teppichen und Plastikblumen. Kurz nachdem sich die Baugesellen Schlafen gelegt haben, wurden sie auch schon wieder unsanft von den Zöllnern geweckt. Zudem holte der Zugsbegleiter unter den unteren Betten Eisenstangen hervor. Die Fahrwerke mussten ausgewechselt werden, da in der Ukraine auf russischer Spurbreite gefahren wird. Der Schienenabstand ist in der Ukraine 7.1 Zentimeter breiter als in Mitteleuropa. Dazu wurde der ganze Zug mit Wagenhebern in die Höhe gestemmt. Nach zwei Stunden tuckerte der Zug weiter in Richtung Lemberg. In Lemberg wurden die Baugesellen abgeholt. Auf der neuen Autobahn ging es weiter Richtung Drohobytch. Die Autobahn war so neu, dass die Sicherheitslinien noch nicht gemalt waren. Irgendwann wird dies wahrscheinlich nachgeholt. In Drohobytch wurde die Gruppe in zwei Bauteams aufgeteilt. Einige blieben in der Stadt und renovierten dort eine ehemalige Militärkaserne, in der nun Alkoholsüchtige ein neues Zuhause gefunden haben. Der andere Teil der Gruppe fuhr auf holperigen Strassen weiter in die Karpaten, in ein kleines Dorf namens Dovhe.
Baueinsatz in Dovhe-Hirs’ke (Bauteam 1)
Plumsklo und Computerzimmer
Dovhe sollte in den siebziger Jahren geflutet werden. Die Sowjets planten eine Staumauer, die die Wasserversorgung der grösseren Städte der Region sicherstellen sollte. Nach elf Jahren Planungs- und Bauzeit wurde das Projekt wegen geologischen Unsicherheiten eingestellt. Der bereits gebaute Teil der Staumauer steht heute noch. Dieses Projekt hatte die Entwicklung des Dorfes stark beeinflusst. Viele zogen weg. Das Dorf ist sehr einfach geblieben. Die meisten Bauern besitzen zwei oder drei Kühe und einige Ziegen. Pferde sind das wichtigste Transportmittel. Fliessend Wasser gibt es in Dovhe nicht. Die meisten Leute haben einen Ziehbrunnen im Garten und ein Plumsklo. In einem grossen Garten wächst viel Gemüse – der Wintervorrat, denn fast alle Bewohner sind Selbstversorger. Im Winter ist die Strasse zum Dorf oft mehrere Monate lang unpassierbar. Es bestehen Pläne eine neue Strasse zu bauen.
Die Baugesellen wohnten im Schulhaus – eines der wenigen Schulhäuser der Ukraine ohne fliessendes Wasser. Aber gleich neben dem Schulhaus fliesst der Stryj, der den Baugesellen als Waschstelle diente. Trotz einfachster Lebensweise hat die Technik in Dovhe Einzug gehalten: Im Schulhaus ist ein gut ausgerüstetes Computerzimmer eingerichtet und viele Leute besassen ein Handy der neusten Generation.
Viel Handarbeit
Eine baufällige Hängebrücke führte auf die andere Seite des Flusses, wo die Baustelle war. Im ehemaligen Pfarrhaus sollen Kinder aus sozial benachteiligten Familien ihre Ferien verbringen können. Viele Eltern dieser Kinder sind alkoholabhängig. An die Diktatur der Sowjetzeit erinnerte noch ein unterirdischer Fluchgang. Der Pfarrer baute diesen einst aus Angst vor dem Geheimdienst. In der Sowjetunion wurde die Religion unterdrückt. Kirchen wurden zerstört oder zum Beispiel als Möbelmärkte oder Hallenbäder umgenutzt.
Die Baugesellen bauten eine neue Aussenfassade aus Holz. Ein anderer Teil der Gruppe gab dem Blechdach einen frischen Anstrich. Zuerst wurde es mit Drahtbürsten geschliffen, dann grundiert und mit Pinseln grün angestrichen. Ein weiterer Teil der Gruppe entfernte das Unkraut bei der Feuerstelle und ebnete das Grundstück für einen Unterstand. Beim Graben entdeckten die Baugesellen allerlei Interessantes, wie eine Kuhtränke, Schuhe oder Blechdosen. Da Dovhe keine öffentliche Abfallentsorgung hat, verbrennen die meisten Leute ihren Abfall selbst oder werfen ihn irgendwohin weg. Der nicht verbrennbare Abfall bleibt liegen. Die Baugesellen sammelten den Abfall ein, vergruben oder verbrannten ihn.
Dubiose Investoren?
Anfänglich waren die Leute im Dorf den Baugesellen gegenüber skeptisch. Sie konnten nicht glauben, dass Leute ohne Bezahlung in ihren Ferien arbeiten gehen. Deshalb gab es im Dorf Gerüchte, dass die Baugesellen Investoren seien und dubiose Geschäfte abwickeln wollen. Mit der Zeit wandelte sich die Skepsis in grosse Herzlichkeit und die Baugesellen wurden immer wieder auf ein Gläschen Selbstgebranntes eingeladen. An einem Abend nahm sogar der Bischof den beschwerlichen Weg nach Dovhe auf sich, um den Baugesellen für ihre getane Arbeit zu danken.
Am Wochenende machten die Baugesellen einen Ausflug nach Drohobytch, wo der andere Teil der Gruppe arbeitet. Da gab es viel zu erzählen und auszutauschen.
Baueinsatz in Drohobych (Bauteam 2)
Neuer Verputz und neues Plumsklo
Die Aufgabe der Gruppe, die in der Stadt blieb, war es, in „Nazaret“, einem ehemaligen Militärstützpunkt für Mittelstreckenraketen, nun ein Rehabilitationszentrum für Alkoholkranke, ein Wohnhaus so umzubauen, dass die Bewohner dort eine menschenwürdigere Unterkunft erhalten würden. Die Baugesellen arbeiteten zusammen mit den zukünftigen Bewohnern des Zentrums. Die Bewohner waren schon seit Jahren daran mit viel Handarbeit und wenig Geld die baufällige Kaserne zu renovieren.
Im Haus mussten neue Fenster eingesetzt werden. Doch auch das Innere des Hauses war baufällig. Die Baugesellen fanden Wände mit halb abgebröckeltem altem Putz und noch rohe Böden vor. Als erstes mussten die Baugesellen aus ein paar Latten und Nägeln Leitern zimmern und Material bestellen. Es kam dann einiges an Material, aber leider nicht alles gewünschte. Aber es war auch alles anders als zu Hause! Die vorhandenen Schreinbiere, d.h. Schuppen mit einer Tischfräse und ein Fuchsschwanz als Handsäge mussten reichen. Auch wenn der Zimmermann von einem Winkelschnitt träumte...
Die ersten zwei Tage bestanden darin, alles was nicht mehr hielt mit Hämmern abzuklopfen und so für einen neuen Verputz vorzubereiten. Gleichzeitig ging der Zimmermann der Gruppe mit einigen Helfern daran, ein WC-Häuschen zu entwerfen und zu bauen. Das betonierte WC Fundament und das gestartete Loch für ein Pumpsklo verleitete die Anwesenden zu höher stehenden Wünschen. So wurde entschieden, einen Kanal zu graben, ein Rohr zu legen und im WC ein Fundament mit Senkung auszubetonieren.
Mitte der Woche trafen dann drei ukrainische Fachleute dazu. Der Bauleiter, Maurer von Beruf, instruierte die Baugesellen, wie man nach der alten Methode neue Putzwände aufzieht. Dies zur Freude des Azubis, der im dritten Jahr der Maler Lehre ist. Er konnte von diesen Fachkenntnissen profitieren und gleich üben bis es gelang. Das war nicht so einfach, aber nach einigen Kellenwürfen fiel wenigsten nicht mehr die Hälfte des Zements von der Wand. Die Ukrainer verrieten auch andere Tricks und so war das Schlussresultat ganz ansehnlich.
Die Bewohner von „Nazaret“ helfen immer tatkräftiger mit.
Nach der ersten Woche kam der Projektleiter vor Ort mit der Neuigkeit an, dass noch eine Aufstockung und ein neues Dach vorgesehen seien. Nun lernten die Baugesellen noch Mauern und hievten vier Paletten Zielgesteine auf’s Dach hoch. Das ging am einfachsten mit einer „Italiener-Kette“. Alle standen in einer Reihe und reichten die Steine weiter. So haben die zukünftigen Bewohner des Hauses gesehen wie schnell man ist, wenn alle Hände zupacken. Als die Verantwortlichen merkten, dass wir es ernst meinten, gaben alle Gas um das Projekt fertig zu stellen. Schlussendlich konnten die Baugesellen zusammen mit den Ukrainern den Dachstuhl aufrichten.
Sowieso merkten die Baugesellen nach einigen Tagen, wie die zukünftigen Bewohner des Hauses immer motivierter wurden und anpackten. Am Ende der Bauzeit schufteten sie von Morgens bis Abends und die Baugesellen mussten sich die Arbeit fast suchen. Es bleibt zu hoffen, dass die Nazareter Mannschaft, die Motivation gefunden hat, das Angefangene fertig zu machen. Die Freude über das Gelungene hat die Baugesellen alle Unannehmlichkeiten vergessen lassen. Und die unbeschreiblich guten Suppen, die es jeweils zum Mittagessen gab, sind jetzt noch ein grosses Rätsel: Wie kann man aus den gleichen Zutaten jeden Tag etwas neues, spannendes und unbeschreiblich Gutes zubereiten? Die Baugesellen wurden wirklich verwöhnt, von den Bewohnern, die nicht viel ihr Eigen nennen. Die Baugesellen dankten es, indem sie ihre sauberen Kleider, Hütli und Sackmesser an die neu gewonnenen Freunde weitergaben.