Mittwoch, 19. November 2008

Auf nach Polen!

Im August 2008 fuhr ich zum ersten Mal in meinem Leben auf ein Baucamp, und auch zum ersten Mal nach Polen - zum ersten Mal überhaupt nach Osteuropa! Und erstmal vorab: es war eine schöne Erfahrung, die mich mein ganzes Leben begleiten wird.

Das Projekt befand sich in Westpolen, 40 km von Breslau in dem Dorf Mikoszów, bei der Saint Celestyn Association (Polnisch: Stowarzyszenie św. Celestyna). Dort wurde 1991 eine beispielhafte Einrichtung für geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen jeden Alters aufgebaut, bei dem heute ca. 150 Menschen medizinisch behandelt, betreut, umsorgt und in Workshops, Symposien und sonstigen kleineren und größeren Aktivitäten beschäftigt werden. Ab Herbst 2008 soll daneben auch Hippotherapie angeboten werden. Die Fertigstellung der dafür benötigten Anlage hatte höchste Priorität, so dass die drei Wochen Arbeit der Freiwilligen dieser Aufgabe gewidmet wurde.

Die Anlage besteht aus einer Pferdekoppel und Reitplatz, sowie einem geschlossenen Reitpavillon aus Holz für Regenwetter. Der Rohbau des Reitpavillons wurde dabei von einer Baufirma errichtet.

Da diese Gruppe nur aus vier Personen bestand (einer Bauingenieurstudentin aus Österreich, einem holländischen Ehepaar und mir, einer angehenden Architekturstudentin) - die anderen vier Leute hatten kurzfristig abgesagt hatten - musste der Projektleiter Jeroen umdisponieren, so dass wir lediglich an der Reitanlage beschäftigt waren, da die Therapiepferde Ende September erwartet werden und bis dahin die wichtigsten Arbeiten abgeschlossen sein sollten.

Schwarztee-Zeremonien und Luxusunterkunft statt Militärzelt

Die kleine Gruppe hatte Vor- und Nachteile. Nachteil war eben, dass wir weniger insgesamt schafften, als mit acht oder zehn Helfern geplant war. Dafür war die Atmosphäre sehr familiär und wir konnten immer die Aufgaben so einteilen, dass jeder seine Stärken und Vorlieben einbringen konnte. Außerdem kamen wir in den Genuss einer luxuriösen Unterkunft- zwei gemütlich eingerichtete Doppelzimmer mit eigenem Bad! Draußen standen noch die Militärzelte bereit, in denen wir campiert hätten, wenn mehr Leute gekommen wären. So waren wir doch mit unserer Gruppe sehr zufrieden, und sowohl die Zusammenarbeit als auch das abendliche Zusammensitzen waren sehr harmonisch, gemütlich und unterhaltsam, so dass keine Langweile aufkam und ich mit neuem interkulturellen Wissen über Holland und Österreich (und natürlich Polen) ausgestattet meine Heimreise antreten konnte.

Unsere Gruppe war am Ende so zusammengeschweißt, dass der Abschied dann doch sehr emotional ausfiel. Ein weiterer Bonus war, dass wir Verpflegung von der Küche bekamen und somit weder selbst kochen noch Küchendienst hatten oder einkaufen mussten. Das Essen war immer reichhaltig (meist Kartoffelpüree, Salat und Fleisch/Fisch, sowie „Extrawürste“ für mich als Vegetarier, welche es in Polen normalerweise schwer haben). Zum alltäglichen „Herbata trinken“ (unsere Schwarztee- Zeremonie gegen 11 Uhr vormittags) gab es immer leckere Specials- z.B. Jogurt, Banane, Kekse, Chips, Gebäck…

Polnisch mit Händen und Füßen

Zu dem Dorf ist zu sagen, dass es nicht wirklich viel dort zu tun gibt, auch kein Internet (und somit auch kein Zwischenbericht für den Ibo…)! Dafür gibt es immerhin einen alten Tante-Emma-Laden, bei dem es wirklich ALLES zu kaufen gibt (man muss allerdings oft fragen, wenn man kein Polnisch kann auch mal mit Wörterbuch und Händen und Füßen). Wir haben vor allem das günstige Eis nach der Arbeit genossen. Die Ruhe und Beschaulichkeit des Ortes habe ich persönlich als sehr angenehm empfunden.

Die Arbeit: anstrengend, aber erfüllend!

Die Arbeit hat meist Spaß gemacht. Natürlich waren auch Phasen dabei, wo man nicht weiterkam und frustriert war, aber man muss seinen Ehrgeiz dann einfach zügeln und sich klar machen, dass man als Amateure und Hobbyhandwerker keine Profiarbeit leisten kann. Weniger spannend war die erste Woche, bei der hauptsächlich Löcher für die Pfähle der Pferdekoppel ausgegraben werden mussten. Dafür waren die folgenden zwei Wochen geistig anspruchsvoller und insgesamt sehr zufriedenstellend. Hier wurde u.a. das vorhandene Betonfundament der Stützen aufgestockt und V-Querstreben zur Stabilisierung gegen den Wind in die bestehende Konstruktion eingefügt. Am Ende der zwei Wochen konnten wir dann fast perfekt (wenn auch immer noch sehr langsam) per Hand sägen, und auch die Kettensäge bedienen (wobei das Ergebnis hier meist weniger elegant war, und die Arbeit durch die Nachbesserungen auch kaum schneller voranging). Das Messen und Einpassen war eine Herausforderung für sich und forderte unser räumliches Denkvermögen.

Die Wochenenden waren frei. Am ersten Wochenende besuchten wir Krakau und Auschwitz, am zweiten unternahmen wir einen Kurztrip ins Riesengebirge. Die Organisation der Anreise und Unterkunft übernahm dabei freundlicherweise unser Projektleiter Jeroen, der ursprünglich aus Holland stammt, aber seit 17 Jahren in Polen wohnt und gut Englisch und sogar Deutsch spricht.

Wir wurden sehr herzlich aufgenommen und merkten, dass das, was wir geleistet haben, eine große Bedeutung für die Menschen in dieser Einrichtung hat. Leider hat die zu Beginn des Camps angedachte Teilnahme an einer Veranstaltung/Gruppentherapie des Zentrums mit den Behinderten nicht geklappt, aber wir haben am Rande dennoch einiges von der Organisation mitbekommen und waren erstaunt, welche Vielfalt an Angeboten realisiert werden. Als Dank wurde jedem von uns eine Urkunde (in Polen sehr beliebt) und ein von Behinderten handgefertigtes Medaillon ausgehändigt, sowie Infomaterial zur Organisation und Postkarten der Region.

Polen - eine wunderschöne Erfahrung!

Die drei Wochen waren eine wunderschöne Erfahrung, bei der man Land und Leute auf unkonventionelle Weise kennengelernt hat. Die Arbeit war anstrengend aber erfüllend, und ich habe auch handwerklich viel gelernt. Ich würde jedem dieses Projekt empfehlen, sowohl für die eigenen Erfahrungen als auch wegen der „Sache“ selbst. Polen ist nach wie vor ein sehr armes Land, so dass eine solche Organisation beinahe wie ein Wunder erscheint (wie es die Gastgeberin ausdrückte: ein Ort der Hoffnung und Liebe), das auf Unterstützung vieler Menschen angewiesen ist. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass Polen unser Nachbar ist, von dem viele Deutsche außer Vorurteilen doch so wenig wissen.


Herzlichen Dank an Julia für diesen ausführlichen Bericht!

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