Bericht eines älteren Freiwilligen über ein 14-tägiges europäisches Projekt
Dr. Dietmar Eisenhammer - Дитмар Айзенхаммер - ВОЛОНТЁР
Zusammen mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Deutschland, Belgien, Russland und der Ukraine war ich als Senior mit meinen 66 Jahren vom 21. August bis 5. September 2010 über den Internationalen Bauorden – IBO in Ludwigshafen (www.bauorden.de) bei meinem sechsten Freiwilligeneinsatz nach Frankreich, Italien und Deutschland - dieses Mal auf der Krim in Simferopol (Ukraine), das mit Heidelberg eine Partnerschaft hat.
Das Besondere an dem jetzigen Einsatz war, dass er im Zusammenhang mit dem Projekt „Reichlich Armut in Europa – junge Europäer denken und handeln zum Thema Armut und soziale Ausgrenzung“ von „Jugend für Europa“, der deutschen Agentur für das EU-Programm „Jugend in Aktion“, gefördert wurde. Die Teilnehmer des Baucamps diskutierten sehr intensiv die angesprochenen Aspekte. Als Hauptergebnis der Gesprächsrunden ist festzuhalten, dass es eine allgemeine Definition von Armut nicht gibt. Armut variiert von Staat zu Staat. Sie hängt von der jeweiligen Situation ab, und Armut führt nicht automatisch in die soziale Ausgrenzung. Neben diesen mehr theoretischen Erörterungen bildeten die Bau- und Renovierungsarbeiten im Alten- und Pflegeheim „Pansionat prestarelych“ im Zentrum von Simferopol den praktischen Hintergrund. In dieser Einrichtung leben Personen mit Behinderungen sowie alte und pflegebedürftige Menschen. Hier hat die soziale Ausgrenzung zwei Gesichter: einmal die Situation im Altersheim selbst und dann die Besonderheiten außerhalb der Senioreneinrichtung. Viele der Bewohner sind blind, taub und gehbehindert. Dann scheitert vieles daran, dass es z.B. in Simferopol überhaupt keine alten- und behindertengerechten Transportmöglichkeiten gibt. Alles in Allem muss ein langfristiges und mehrjähriges Programm durch die EU auf den Weg gebracht werden, um die soziale Ausgrenzung der Senioren zu vermindern. Erst dann hat die Idee „Jung trifft Alt“ eine nachhaltige Wirkung.
14 Tage lang also begegneten sich „Jung und Alt“ ganz hautnah während unserer Arbeiten auf dem Gelände des Alten- und Pflegeheimes. Dabei waren wir beschäftigt mit gärtnerischen Pflegearbeiten, wie ich z. B. mit dem Heckenschneiden, dann mit dem Malen und Streichen von Bänken, Türen und Fenstern sowie mit Renovierungen und Reparaturmaßnahmen im Innen- und Außenbereich. Wir arbeiteten 5 Tage in der Woche, jeweils vormittags 4 ½ Stunden. Dabei hatten wir herzliche Kontakte zu den Bewohnern der Einrichtung, die oftmals sogar versuchten, mit uns ein wenig Deutsch zu reden. Schade, dass ich nur ein paar Worte Russisch konnte, um diese Aufmerksamkeiten richtig zu erwidern. Ganz generell fühlte ich mich, wenn ich alleine unterwegs war, ohne die russischen Sprachkenntnisse, sehr unsicher, weil ich auch fast immer mit Englisch nicht weiter kam. Nach getaner Arbeiten erkundigten wir am Nachmittag Simferopol. Sie ist die Hauptstadt der Autonomen Republik Krim und hat rund 350.000 Einwohner. An den Wochenenden unternahmen wir vielfältige Ausflüge in die nahe und weitere Umgebung, so unter Anderem auch nach Jalta und Sebastopol. Die Transportkosten waren dabei bescheiden. So kostete eine Busfahrt innerhalb der Stadt umgerechnet rund 0,20 Euro. Die Fahrt nach Jalta im Rahmen der längsten Trolleybusstrecke der Welt bei einer Dauer von fast rund 2 ½ Stunden kostete lediglich umgerechnet 1,20 Euro.
Das Baucamp fand in Zusammenarbeit mit dem Baulyzeum statt. Hier werden Schüler auf handwerkliche Berufe vorbereitet. Die Lehrer erarbeiten für die Schule ein neues Projekt weg vom Frontalunterricht und hin zu Praktika auf Baustellen, wobei die Schüler auch an soziales Engagement herangeführt werden. Im Wohnheim des Baulyzeums waren wir ausgezeichnet untergebracht. Lediglich die Jugendlichen aus Simferopol wohnten bei ihren Eltern. Um eine Erfahrung reicher wurden wir alle, weil das Wasser während der Nacht, wie so oft in der Ukraine üblich, bis früh 6 Uhr abgestellt wurde! Frühstück und Abendessen, die eigens für uns zubereitet wurden, erhielten wir in der schuleigenen Kantine. Das Mittagessen wurde immer im Altenheim eingenommen. Das typische Weißkraut (Kapusta) gab es dabei in allen möglichen Variationen. Für mich als gesundheitsbewusster Senior waren die Mahlzeiten oftmals sehr gewöhnungsbedürftig.
Während unseres gesamten Aufenthaltes wurden wir in anerkennender Weise quasi rund um die Uhr von Tanja, Diana und Natalia aus dem Baulyzeum in deutscher und englischer Sprache betreut. Das war schon einmalig! So besuchten wir die vielfältigen Parkanlagen sowie eine Kunstgalerie in Simferopol, waren abends auf einem Konzert sowie ein Discobesuch stand mit auf dem Plan. Der Besuch des „Heidelberg-Hauses“ durfte nicht fehlen. Diese mit deutschen Spendengeldern aufgebaute Einrichtung gibt Deutsch- und Russisch-Unterricht und kümmert sich um kriegsgeschädigte Bewohner. Sogar Karten wurden für uns besorgt, um das Europaligaspiel „Bayer Leverkusen“ gegen „Simferopol Tavrija“ besuchen zu können. Leider hatte Simferopol 3:1 verloren. Wir hatten unsere Plätze auf der Fantribüne von Bayer Leverkusen. Neben etwa 20 Personen aus Köln waren wir die einzigen Anwesenden. Trotzdem genügte dies, uns von den Fans aus Simferopol fernzuhalten. Mit der Folge, dass wir am Ende des Spiels mit Polizeieskorte zu einem eigenen Bus gebracht und nach Hause gefahren wurden. Welch hohe Aufmerksamkeit! Große Ehre wurde uns auch zuteil, weil wir bei der Eröffnung des neuen Schuljahres des Baulyzeums als besondere Gäste mit anwesend waren und ich sogar für unsere Gruppe eine kleine Rede halten durfte. Der anschließende Rundgang durch das Schulgebäude und die Klassenzimmer beeindruckte uns sehr, weil wir ganz anschaulich sahen, welch breite Palette von Berufen die Jugendlichen erlernen können.
Die spezielle Aufmerksamkeit für dieses Europäische Projekt „Jung trifft Alt: Armut und soziale Ausgrenzung“ zeigte sich daran, dass über unseren Einsatz im Alten- und Pflegeheim ein Fernsehbeitrag erstellt und abends in den Regionalnachrichten gesendet wurde. Hierdurch wurden wir in Simferopol so bekannt, das man mich auf der Straße als „TV-Star“ begrüßte. Eine wirklich nette Geste!
Am Ende unseres Freiwilligeneinsatzes wurden wir vom stellvertretenden Leiter des Baulyzeums, Nikolai Nasedkin, auf sehr herzliche Weise mit Geschenken verabschiedet. Er dankte uns für die geleistete Arbeit. Ein eigenes Diplom in Russisch über unsere Teilnahme an dem Baucamp wurde jedem zusätzlich überreicht. Das war für uns eine besondere Auszeichnung. Diese Urkunde hat jetzt in meinem Zuhause einen besonderen Platz.
Für mich waren diese 14 Tage in Simferopol auf der Krim in der Ukraine eine weitere Erfahrung in meinem Projekt „Europa braucht die Älteren“. Der Kontakt mit östlichen Nachbarn hat meinen Horizont erweitert. Allein schon die Tatsache, dass ich jetzt meine begonnenen Anstrengungen, die russische Sprache zu erlernen, fortsetzen werde, zeigt den Einfluss dieses Baucamps in Simferopol auf meine zukünftigen Aktivitäten als „Älterer Freiwilliger aktiv in Europa“. Man ist wirklich nie zu alt um etwas Neues zu lernen. Jetzt habe ich eine neue Herausforderung. Denn nächstes Jahr soll wieder ein Baucamp mit russischem Bezug in meinem Terminkalender stehen.
Wiesbaden, 9. September 2010
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